Geschichten Teil I

In diesem Beitrag geht es um die Geschichten, die wir uns selbst und anderen erzählen und welche Bereiche unsere Sicht auf die Dinge bewusst und unbewusst beeinflussen und die tatsächliche Realität verschleiern.

8 Sep 2022

Es war einmal vor langer, langer Zeit….

Den Satz kennen wir vermutlich alle, denn er ist die Einleitung, die ein Erzähler wählt und die alle im Raum verstummen lässt und sagt: „Achtung, jetzt folgt eine Geschichte.“

Doch nicht alle Geschichten beginnen mit einer Einleitung und bei manchen davon ist wiederum keinem im Raum klar, dass es sich um eine fiktive Geschichte handelt – Nicht einmal dem Erzähler selbst. Bei Letzteren handelt es sich z.B. um die Geschichten, die wir über uns selbst erzählen.

Denn das tun wir alle. Wie die Stimme des Erzählers zu Beginn eines Films, die den Zuschauern erklärt, wer die Figuren sind, wo der Film spielt und welche Handlungen der aktuellen Szene vorausgegangen sind, erklären wir uns und unsere Situation unseren Mitmenschen und nicht selten auch uns selbst.

Und obwohl wir uns dabei an den echten Begebenheiten orientieren, sehen wir die Geschichte nur so, wie wir sie nun einmal sehen wollen oder können. Denn unsere Wahrnehmung von der Welt ist an so viel mehr Bedingungen geknüpft, als an die Fähigkeit unserer Augen (auch wenn diese ebenfalls ein wichtiger Faktor ist).

Wie wir die Welt wahrnehmen

Wahrnehmung, Verarbeitung und Ausdruck

Wir erfahren die Welt durch unsere Sinne. Wir hören, schmecken, riechen, fühlen und sehen sie. Und da ist schon das erste Hindernis, was die Realität, die wir wahrnehmen enorm beeinflusst. Denn zum einen sind unsere Sinne etwas, dass sich im Laufe unserer Kindheit entwickeln muss und damit können auch bei ihnen Entwicklungslücken vorliegen. Sie funktionieren nämlich durch Reize an unseren Nervenbahnen und benötigen dafür ein ausgebildetes Nervensystem. Und zum anderen basiert die Auswertung dieser Reize darauf, was unser Gehirn gelernt hat. Betrachten wir also unser Umfeld, nehmen wir über die Augen Reize wahr, diese werden an unser Gehirn gesendet und dort erklären wir uns mit dem, was wir gelernt haben, was diese Reize bedeuten.

Um ausdrücken zu können, was wir wahrgenommen haben, sind wir nun wieder darauf angewiesen Worte, Gestik und Mimik zu benutzen, die wir ebenfalls erlernt haben. Doch diese sind in ihrer Anzahl beschränkt. Ich finde am schönsten sieht man dies immer an den Worten, die wir für unsere Emotionen haben. Denn obwohl es eine Fülle an Worten für die verschiedenen Emotionen gibt, hat vermutlich jeder von uns schon einmal den Moment erlebt, an dem ihm die Worte zur Beschreibung seiner aktuellen Gefühlswelt fehlten. Der Ausdruck, dessen, was wir wahrnehmen ist also immer durch das limitiert, was wir an Ausdruckmöglichkeiten haben.

Erziehung, Sozialisierung und andere Glaubenssätze

Was wir wahrnehmen und wie wir es verarbeiten hängt allerdings nicht nur mit dem Entwicklungszustand unseres Nervensystems, unseres Sinnesapparats und unseres Gehirns ab. Unsere Erziehung, die Gesellschaft in der wir leben und die Menschen, denen wir auf unserem Weg begegnen haben einen entscheidenden Einfluss darauf, wie unsere Realität aussieht.

Nehmen wir z.B. ein Kind, das einen unsichtbaren Freund hat, mit dem es glücklich spielt und der für das Kind absolut real ist. Wenn das Kind von seinem Umfeld nun erzählt bekommt, dieser Freund existiere nicht und dass nur Verrückte unsichtbare Freunde haben, wurde ein perfekter Glaubenssatz geschaffen. „Ich darf nichts sehen/wahrnehmen, was kein anderer wahrnehmen kann, denn dann gelte ich als verrückt, werde von meinem Umfeld ausgestoßen oder eingesperrt und das könnte ich nicht überleben.“ Dabei geht es nicht darum zu werten, ob nun unsichtbare Freunde zu haben gut oder schlecht ist, sondern nur um die Veränderung der Realität des Kindes durch sein Umfeld. Das Kind wird sich nun wahrscheinlich verbieten weiterhin etwas für andere nicht wahrnehmbares zu sehen.

Noch viel alltäglicher anzutreffen, aber nicht weniger zutreffend, ist es, wenn wir z.B. wahrnehmen, dass es unserem Gegenüber nicht so gut geht. Sollte dieser allerdings überzeugend und vehement darauf bestehen, wie großartig es ihm ginge, beginnen viele von uns (insbesondere Menschen mit einem geringeren Selbstwertgefühl) an ihrer Einschätzung von anderen Menschen zu zweifeln. Wir entscheiden uns gegen unsere Wahrnehmung und für die erzählte Realität. Ebenfalls ein paar schöne Glaubenssätze.